Was die Redaktion interessierte
Um meinen Zweifeln über die Integrität von Politiker*innen nachzugehen, sprach ich mit einem, den ich persönlich kenne: Einwohnerrat Beda Lengwiler von der Jungen Mitte Kriens.
Vorwort / Warnung
Wenn Journalismus Handwerk ist und keine Kunst, dann ist das kein normaler journalistischer Artikel – kein strikt nach SIA-Normen errichtetes Bauobjekt, sozusagen. Viel eher ein Experiment von einem Typ, der ein starkes Interesse an Bauformen hat, aber weder in der Architektur, noch im in der Bauphysik, ausgebildet wurde. Glücklicherweise stand eine alte Lagerhalle zur Verfügung. Was darin gebaut wird, muss also keinen bauphysikalischen oder raumplanerischen Vorschriften entsprechen, was das Experimentieren und eine mehr instinktive als gründliche Arbeitsweise erlaubte.
Hintergrund
Meine Perspektive war, besonders bevor ich mit Beda gesprochen habe, dass Politiker*innen oft ihr Unwissen verbergen möchten, und deswegen bei komplexen Themen lieber eine Seite vertreten, für die sie Aufmerksamkeit und Zustimmung bekommen, als wirklich Lösungen zu finden. Es kann doch, zum Beispiel, nicht sein, dass man ehrlich und auf Fall-für-Fall-Basis für einzelne Probleme Lösungen sucht, und dann, nachdem man, zum Besten seiner Fähigkeiten, alle Aspekte evaluiert hat, die Lösung, aus reinem Zufall, schon wieder in die bereits etablierte Haltung der Partei passt.
Das Interview ist ein Zusammenschnitt unserer Gespräche an drei separaten Treffen: dem ersten, ausführlichen, Interview in seiner WG, einem kurzen Schwatz nach der Einwohnerratssitzung vom 10. April und einem letzten Treffen, bei dem ich ihm noch einige wenige Fragen gestellt habe. Die Gespräche haben meine zweifelnden Fragen über die Motivationen von Politiker*innen wurden zwar nicht alle beantwortet, aber mir eine komplett neue, weniger philosophische und eher praktische, Perspektive, aufgezeigt. Beda erschien mir als ein starkes Gegenbeispiel zu dem Bild, das ich bisher von der Politik hatte und schätzt auch seine Kolleg*innen in der Lokalpolitik recht ehrlich ein. Die Politik auf höherer Ebene, sei mal noch dahingestellt. Vielleicht müssen ja auch nicht alle Menschen Grundlagenforschung über ihre Motivationen und Integrität betreiben. Sondern gibt es auch einen Ort und Bedarf für Menschen, deren Aufgabe es ist, erstmal eine Position einzunehmen, und dann diese mit den bestmöglichen Intentionen zu vertreten. Schliesslich beschränkt sich die Verantwortung für die Lösung von grundlegenden Fragen nicht nur auf einzelne Entscheidungsträger*innen, sondern verteilt sich auf das Stimmvolk, Medien, Forschung, etc. Unehrliche Motivationen und Persönliche Defizite sind zwar wahrscheinlich immer noch mitunter Faktoren, die für eine Person die Politik attraktiv machen. Aber ich habe nun gefühlt selber erlebt, wie auch der Wille, mit gutem Gewissen Arbeit zu leisten, für andere Menschen das Hauptziel in ihrer politischen Tätigkeit sein kann.
Beda begrüsst mich freundlich in seiner WG und bietet mir danach auch gleich einen Kaffee an. So fest ich aber auch stets behauptet hätte, dass «solche Menschen», also Politiker*innen, alles nur fürs Image und ihre persönliche Macht tun, wirkt sein Anstand zutiefst natürlich, ohne jegliche Hintergedanken oder den Willen, auf eine bestimmte Weise aufzutreten. Wir setzen uns, nach einer kleinen Wohnungstour, auf das Sofa im Wohnzimmer.
Beda, danke, dass du dir Zeit nimmst fürs Interview! Kannst du dich kurz vorstellen?
Beda Lengwiler: (lacht) Ja als Politiker brauchen wir die Medien ja auch. Schliesslich brauchen man auch eine Plattform, wenn man gewählt werden möchte. Ich bin 23, Einwohnerrat in Kriens für Die Junge Mitte, Vizepräsident der kantonalen Jungen Mitte und in einigen weiteren Vorständen und Komitees tätig. Ich studiere Wirtschaft an der Hochschule Luzern, mit Schwerpunkt Non-Profit und Public Management. Später möchte ich vermutlich in Richtung Public Affairs gehen. Mich interessiert, wie das ganze System funktioniert, und wie ich, auch hinter den Kulissen, Lösungen zimmern kann – in Organisationen und im Interesse von dem, was ich für gut halte.
Beda Lengwiler – Zur Person
Beda Lengwiler wurde am 20.10.2001 in Luzern geboren und ist in Kriens aufgewachsen, studiert Wirtschaft an der HSLU und ist aktiv in der Pfadi tätig. Er politisiert für die Junge Mitte im Krienser Einwohnerrat, ist Vizepräsident der kantonalen Jungen Mitte und Co-Präsident der Jungen Mitte Wahlkreis Luzern-Land. Als Vorstandsmittglied des Komitees «Bypass Plus» setzt er sich für einen überdachten Autobahnabschnitt durch Kriens ein, sollte der Bypass wie geplant umgesetzt werden.
Wie fest dient man in der Politik sich selber, und wie fest dient man dem, was man wirklich für richtig hält?
Die Leute machen das hier auch für ihre Bekannten, und überlegen, was das Beste für Kriens ist. Ich glaube, da schwingen sehr wenige egoistische Interessen mit. Wenn zum Beispiel ein Unternehmer dabei ist, dann vertritt dieser natürlich auch allgemein eher die Interessen der Unternehmer in Kriens. Aber Extrawürste verlangt keiner. Es haben sicher alle gerne einen guten Auftritt, auch, um wiedergewählt zu werden, aber im Vordergrund steht der Sachverhalt.
Weil es sich um Lokalpolitik handelt?
Dass es nicht so machtmässig ist? Ja, man kennt sich halt auch wirklich noch oft persönlich oder um einige Ecken, also durch Nachbarn, Freunde, Familie etc. Wie es auf nationaler Ebene ist, kann ich nur schwer beurteilen. Ich höre oft die Anschuldigung, dass es sich dort um sogenannte «Ämtli-Sammler*innen» handelt, und sie auch gerne für diese Ämtli Lobbyieren. Doch schlussendlich haben die Meisten auf Gemeindeebene gestartet. Und ich denke auch, dass die Mehrheit der Politiker und Politikerinnen wirklich das Gefühl haben, zu wissen, was richtig ist, und das auch versuchen einzubringen. Das finde ich schön. Es gibt sicher Leute, die in der Politik eine Karrierechance sehen, aber aus meiner Sicht kommen die nicht gleich weit. Wenn einer viel Geld in den Wahlkampf steckt, um in ein Parlament gewählt zu werden, bringt das weniger, als wenn man einfach auf Gemeindeebene vier Jahre gute Arbeit leistet. Man muss sich auf lange Frist profilieren, indem man sich für die Anliegen der Bevölkerung einsetzt.
Kann man nicht auch in etwas reinrutschen, wenn man in höhere Ebenen gelangt?
Man muss sich immer wieder besinnen, wofür man das ganze überhaupt macht. Und ich weiss natürlich nicht, wie es wirklich ist, aber eher nicht. Wichtig ist, zu reflektieren, was die eigenen Werte sind, und was der Bevölkerung auch wirklich etwas bringt.




Was sind denn dir wichtig?
Für mich ist ganz vieles wichtig. Wenn man in der Mitte politisiert, hat man nicht so das eine spezifische Thema. Ich finde, es muss alles auch irgendwie ausgeglichen sein. Soziale, ökologische aber auch ökonomische Anliegen haben ihre Legitimität und sollten berücksichtigt werden. Aber besonders wichtig sind mir Umweltthemen und eine nachhaltige Finanzpolitik; wir können nicht alles jetzt ausgeben, nur damit wir nachher wieder sparen müssen. Wir brauchen auch Stabilität; ich will ein langfristig attraktives Kriens für Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene. In diesen Bereichen konnte ich auch schon einiges bewirken. Mit einem Vorstoss forderte ich beispielsweise die Einführung eines Jugendparlaments. Es freut mich sehr, dass das durchgekommen ist und Kriens nun als Vorstufe dazu eine Jugendsession eingeführt hat. Momentan setze ich mich für die Verbesserung des Nextbike-Angebots in Kriens ein.
Liegt deinen Werten etwas tieferes, z.B. ein religiöser oder spiritueller Glaube, zugrunde?
Ich bin wirklich nicht so spirituell. Ich finde, man soll einfach wohlwollend denken und schauen, dass alle Aspekte und Meinungen zusammenfliessen, sodass man nachher etwas Gutes hat. Ich will vor allem eine gute Lösung finden, mit der alle leben können und die Kriens weiterbringt.
Gibt es Personen, für die die Politik zur Religion wird?
Das ist etwas zu stark formuliert. Aber sie nimmt sicher viel Platz im Leben ein. Es kommt schon vor, dass Politiker*innen sich gegenseitig, nur aufgrund ihrer Parteizugehörigkeit, komplett abschreiben. Das verstehe ich jedoch selten. Man kann sich eine Meinung anhand der Forderungen und Aussagen einer einzelnen Person bilden, das ist aber etwas anderes. Es gibt auch Leute, mit denen ich selber kein Bier trinken möchte, da ich weiss, wie sie politisieren und welche Meinungen sie vertreten. Aber das sind Personen aus den Medien, nicht aus der Gemeinde.
Machen sich junge Leute attraktiver im Dating, wenn sie in die Politik gehen?
Ich weiss nicht… Wenn man sich stark engagiert, gibt es Wochen, in denen man jeden Abend eine Sitzung hat. Und wenn man sich zum Beispiel gewissenhaft in ein 200-Seitiges Budget einlesen will, dann ist man da halt wirklich eine Weile dran. Und das nimmt dann halt auch Platz im Kopf und im Leben ein. Ich glaube allgemein müssen engagierte Personen für sich schauen, dass man das Privatleben nicht vernachlässigt. Und wenn man klar eine politische Meinung vertritt, ist es auch schwieriger, mit einer Person zusammenzukommen, die klar eine anderer Meinung ist. Ich würde sagen für mich hat es keinen grossen Einfluss.
Du steckst da also viel Arbeit rein, was kommt zurück?
Es gibt schon auch Zeiten, wo man wenig tun hat. Es schwankt also sehr vom Aufwand her; manchmal tut es auch gut, eine Pause zu machen. Was einem viel zurückgibt, ist, wenn Personen aus dem Volk einem ansprechen und sich bedanken oder zusprechen, für ein Anliegen, dass man vertreten hat. Auch toll ist es, wenn man sieht, was man erreicht hat und wie es die Stadt Kriens weitergebracht hat.
Tut diese Pause auch den Entscheidungen gut, die man danach fällt?
Mir tut es gut, mich auch mal von der Politik zu distanzieren. Sonst kann man sich auch verkrampfen. Auch höhere Politiker machen manchmal eine Auszeit. Etwas Abstand zu gewinnen kann auch helfen, das Ganze zu sehen und sich nicht im Detail zu verlieren.
Wäre der Krieg in der Ukraine vielleicht weniger schlimm, wenn Putin mal ans schwarze Meer «sünnele» ginge?
(lacht) ja, diese Politiker dürften zum Teil auch mal eine Pause machen. (ernster:) aber momentan ist die Weltsituation schon ziemlich tragisch. Ich finde es manchmal, als Laien in diesem Bereich, schwierig, zu beurteilen, aber es sieht gar nicht rosig aus und es wäre schön, wäre das alles zu Ende. Aber im Endeffekt muss man dort, wo man kann, versuchen, das zu bewirken, was man für richtig hält. Denn was uns als einzelne Privatpersonen angeht, können wir leider nicht gross aufs Weltgeschehen Einfluss nehmen. Persönlich versuche ich, mich nicht zu fest dadurch zu belasten, denn etwas daran ändern kann ich nicht. Lieber fokussiere ich mich auf die Bereiche, wo ich wirklich etwas bewirken kann.
Du gibst scheinbar offen zu, wenn du etwas nicht weisst. Machen das alle Politiker*innen?
In den Bereichen, in denen man sich einsetzt, ist man ja auch inhaltlich versiert. Ich denke, das hängt stark von der Person und Situation ab. Aber in einer Debatte sagt man sicher nicht gerade hinaus «ich weiss nicht». Das würde die eigene Position schwächen.
Lügt man dann?
Nein, ich glaube nicht. Aber man vertritt sowieso eher das, worüber man sich auch informiert hat, oder lenkt, wenn man mal etwas nicht so genau weiss, seine Antwort eher zum Thema das man kennt.
Manche Themen, z.B. Klimaziele , sind sehr komplex – muss man manchmal auch etwas einfach glauben, wenn man es nicht wissen kann?
Im Einwohnerrat erarbeiten wir eigentlich nichts vollständig selber aus. Wir können Gesetze anpassen und durch das Überweisen von Anträgen ergänzen. Aber man kann einen Bericht vom Stadtrat verlangen, der dann auch, je nach Thema, von externen Spezialistinnen und Spezialisten geschrieben wird. Die Verwaltung ist eine wichtige Anlaufstelle für Informationen. Ich vertraue dem Fachwissen. Wir sind die strategische Ebene. Die Expert*innen unterstützen uns mit Wissen für unsere Entscheide.
Musstest du schon mal etwas vertreten, was nicht deiner echten Meinung entsprach?
Wir als Mittepartei sind eher mal gespalten, als zum Beispiel Parteien, die sich deutlicher um spezifischere Anliegen kümmern bzw. ein etwas extremeres Profil haben. Wenn man sich also innerhalb der Fraktion oder Partei auf ein Votum einigt, kann es auch vorkommen, dass man für etwas stimmt, das man persönlich nicht für nötig hält. Auf dem Podium wird das Anliegen natürlich von einem Mitglied vertrete, welches auch persönlich der entsprechenden Meinung ist. Komplett «gegen den eigenen Strich gehen», muss man also nicht. Ich stehe hinter dem, was ich sage. Wenn Die Junge Mitte zum Beispiel anderer Meinung ist als die Mitte, dann legen wir dies in einem Einzelvotum dar.
Führt man manchmal auf politischer Ebene Krieg gegen eine Person, mit der man hinter den Kulissen sehr gut auskommt?
Man vertritt halt eine Meinung, aber persönlich komme ich mit allen gut aus. Mehrheitlich herrscht eine gute Kultur, man ist sehr anständig miteinander. Dies, obwohl die Meinungen manchmal stark auseinandergehen oder teilweise emotional geladen sind. Es wird aber eigentlich nie persönlich. Klar, wenn man gerade intensiv debattiert hat, dann trinkt man vielleicht den nächsten Kaffee nicht unbedingt mit dieser Person, aber das ist schnell wieder vergessen. Nach der Sitzung stossen alle miteinander an. Meiner Einschätzung nach, handeln eigentlich alle nach ihrem besten Gewissen. Wenn, dann spielt die Parteipolitik mit rein. Man will dann zum Beispiel einfach die Gegenpartei schlecht darstellen, um selber besser auszusehen. Das ist auch schon in Leserbriefen vorgekommen, die Ratsmitglieder geschrieben haben. Das finde ich dann auch schade. Aber wenn man es übertreibt, steht man automatisch selber wieder schlechter da, die Leute merken das schon.
Ist die Politik aber nicht manchmal etwas manipulativ?
Nein, das finde ich eben nicht. Politik ist strategisch, nicht manipulativ.
Was ist denn der Unterschied?
Schwierig zu sagen. Manipulativ ist negativer, nicht konstruktiv. Strategisch sich einzusetzen ist ja auch gut. Zum Beispiel mit mehreren Leuten zu sprechen, schauen, wie es ankommt, und dann die andern mit einbeziehen, damit man dann eine Mehrheit hat. Das ist strategisch. Oder Wenn man will, dass ein bestimmtes Thema im Sitzungsprotokoll erwähnt wird, kann man dafür spezifische Fragen stellen, selbst wenn man vielleicht die Antwort schon weiss. Das ist aber für mich noch nicht manipulativ.
Während der letzten Einwohnerratssitzung habe ich mehrmals beobachtet, wie Ratsmitglieder auf ihren Laptops durch die Luzerner Zeitung, Facebook oder anderen Onlineportale scrollten. Sucht man dann wirklich noch nach Lösungen, wenn man sich nicht einmal gegenseitig zuhört?
Es gibt nur selten Diskussionen, bei denen man wirklich etwas Neues hört. Dann kommt es auch manchmal vor, dass Ratsmitglieder nach der Diskussion anders stimmen. Aber erstens findet die grösste Arbeit in den Kommissionen statt, die die meisten Traktanden im Voraus behandeln. Dort sucht man auch wirklich sehr sachlich nach Lösungen, egal, zu welcher Partei man gehört. Und zweitens hat man die meisten Argumente vor der Sitzung schon durchgelesen.
Für das Bild über deinem Bett hast du, laut eigener Erzählung, damals im BG-Unterricht eine bessere Note bekommen als dein Kolleg, weil du gewusst hast, wie du dich bei deiner Lehrerin einschleimst, indem du sie nach Ratschlägen fragst… war das jetzt rein strategisch?
Das Produkt spielt eine Rolle, und wie man es verkauft. Es ist halt sympathisch, wenn man andere mit einbezieht. Aber das muss man auch machen, wenn man die beste Lösung haben will. Und im Endeffekt ist auch etwas besseres rausgekommen, als wenn ich alles alleine gemacht hätte.
Text / Bilder: Nicolas Rast